Bessa

Ihr Name ist Bessa. Bessa Voigtlaender. Wahrscheinlich ist sie so ungefähr siebzig Jahre alt, aber dafür eigentlich noch ganz gut in Schuss. Ich habe sie übers Internet kennengelernt und musste mir schon rein aufgrund des dort vorhandenen Bildmaterials eingestehen, Gefallen zu finden an ihrem recht dekorativen Äusseren, weshalb sie dann auch schon bald bei mir einzog. Vorher war sie wohl bei jemandem, der sehr sorgsam mit ihr umgegangen ist, sogar die Originalverpackung* ist noch intakt. Warum also nicht einfach mal einen Film einlegen und testen, ob sie noch funktioniert? Eine Anleitung findet sich auf dieser Seite. Sowieso, die Anleitung; So etwas gibt es heute nicht mehr. Auf vielen zweifarbig handgestechbeitelten Bildern zeigt ein ernst dreinschauender Herr die korrekte Kamerahaltung vor. Selben Orts wird dann auch das Betätigen des Auslösers verglichen mit dem Durchdrücken des Abzugs eines Gewehrs. Gerade so als ob es völlig normal wäre, dass man zwar den Umgang mit dem Tötungsgerät verinnerlicht habe, eine Kamera einem aber noch nie untergekommen wäre. Später in besagtem Werke wird dann auch eindringlich davor gewarnt, die Kamera bei der Aufnahme gegen unten oder oben gekippt zu halten, denn daraus ergüben sich schliesslich auf dem resultierenden Bild die gefürchteten stürzenden Linien. Diese des Fotoliebhabers wohlgeübtem Auge beleidigende, ja anmassende Unordentlichkeit würde wohl den ordnungsliebenden Betrachter so sehr aufwühlen, dass es sobald zum Bürgerkriege inklusive Plündern, Vergewaltigen, Brandschatzen und so weiter dann auch nicht mehr weit wäre, gefolgt  vom Untergang des christlichen Abendlandes. Also halten wir die Kamera gerade wie der Herr auf dem geschnitzten Kartoffelstempelbild.

Das Filmformat ist 120er Rollfilm, den ich sowieso noch im Kühlschrank habe für meine Mittelformatkameras. Also Film rein, Belichtungsmesser um den Hals und raus.

Beim Schlosse zu Wil angekommen merke ich, dass die Widrigkeiten im Umgang mit diesem Gerät dem verweichlichten Digitalkamerabenutzer in kürzester Zeit das Nervenkostüm zu zerrütten in der Lage wären. Aber so leicht gebe ich mich nicht geschlagen und versuche mein Bestes, trotz untauglicher Sucher (davon hat es gleich zwei Stück, einen oben drauf zum Durchschauen und einen zum drauf Runterschauen) die eine Vorschau auf den gewählten und abzubildenden Bildausschnitt mehr oder weniger unmöglich machen. Ein Wunder,  dass bei Fotos aus dieser Zeit überhaupt einmal die richtigen Leute drauf waren. Darauf, solche Bildgestaltungsdetails wie Köpfe und Füsse der abgebildeten Personenen auf dem Bild zu haben, legte man dann verständlicherweise auch nicht allzu grossen Wert*. Belichtungszeiten gibt es zwei zu Auswahl, nämlich 1/25 und 1/75, wobei 1/25 klemmt, was die Optionen doch etwas einschränkt. Wenigstens die Blende lässt sich von 7.7 bis 22 stufenlos verstellen.

Wie üblich schicke ich den belichteten Film an hobbylab.ch zur Entwicklung. Bei den entwickelten Negativen stelle ich erst einmal fest, dass diese riesig sind. Fast 6×9 cm. Zur Erinnerung, Kleinbildfilm – das ist das Zeug das sie vor ihrer ersten Digitalkamera in rohen Mengen verballert haben –  hat eine Negativgrösse von 2.4×3.6 cm. Rein daraus wird aber nur der unbewanderte Leser Rückschlüsse zu ziehen versuchen auf die Qualität des Bildes, denn früher waren die Optiken ganz einfach noch nicht sehr gut. Deshalb pflegte man umso grössere Negative zu belichten, damit die Resultate trotzdem noch einigermassen scharf waren.

Zwei der Bilder aus der Bessa:

* Die Originalverpackung (kurz OVP) wird für gewöhnlich nur durch den gemeinen Originalverpackungsaufbewahrer originalverpackungsaufbewahrt; Der steht im grossen und ganzen synonym für Warmduscher, Schattenparker, Anleitungsleser, Bier-mit-Citro-Verdünner und «ich bevorzuge eine kleine Kamera weil eine grosse will ich nicht herumtragen und Bildqualität ist ein überschätzter Faktor»-Kompaktnipsenbenutzer.

* Dieses Verhalten ist auch noch heute zu beobachten. Für viele Leute ist ein gutes Foto gleichbedeutend mit einem Foto wo die richtige Familie drauf ist, oder alternativ ganz einfach überhaupt jemand den man kennt.

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