Neujahrsvorsätzler

Ich gebe es ja zu. Auch ich verbringe ab und an ein Stündchen mit meist zu vielen, Leib neben Leib wie Hamster im Rad sich abstrampelnden, radelnden, an Ort rennenden und treppensteigenden, hebenden, stossenden, ziehenden, pressenden, rudernden, keuchenden, röchelnden und vor allem unerfreulich schwitzenden Sportsfreunden in einer der Folterkammern der Neuzeit, verharmlosend Fitnessstudio tituliert. An diesem Orte neuzeitlicher Selbstkasteiung auf dem unheilvoll wabernd der Odor strenger Ausdünstung liegt wie die winterdepressionsfördernde Nebeldecke über dem Seeland im Herbst, treffen sich Tag um Tag Horden von unterschiedlichsten ZeitgenossInnen, die mannigfaltigsten Motive verfolgend. Ist es für den modernen Einzelhaushaltsbetreiber die Erhöhung der Attraktivität, wovon er sich einen merklichen Zuwachs in Sachen Beischlaffrequenz* erhofft, so verspricht sich der durchschnittliche Bürogummi der durch tage-, wochen- und jahrelangem bewegungslosem Sitzen einsetzenden beziehungsweise fortschreitenden körperlichen Degeneration Einhalt zu gebieten.

Wer einige Zeit – den inneren Schweinehund überwindend – regelmässig in einer solchen Einrichtung der körperlichen Ertüchtigung ein- und ausgegangen ist, kennt und fürchtet die ersten Tage, manchmal sogar Wochen nach dem Jahreswechsel. Da fallen sie über die Körperertüchtigungsinfrastruktur her wie eine biblische Heuschreckenplage. Die Neujahrsvorsätzler. Sie kommen, um ihren guten Vorsätzen treu zu bleiben und endlich „etwas für sich zu tun“. Sie bleiben aber schon wieder weg, bevor die Würste vom vielen festtäglichen Fleischfondue und im Übermass konsumierten Männerhandtaschen** von den Hüften verschwunden sind. Warmduscher, gewiss, aber immerhin ist die Motivation noch erkennbar. Es gibt jedoch auch einen Typus von Besuchern, wo sich mir die treibende Kraft – der eigentliche Sinn der Übung sozusagen – auch bei näherer Betrachtung verschliesst. Es sind dies diese Leute meist mittleren Alters, welche sich bequem auf dem Trainingsgerät einrichten, mal sitzend mal halb liegend, sich meist sogar ein klein wenig bewegend, interessiert in einer Zeitschrift blätternd oder manchmal auch dem vielschichtigen hochkomplexen Handlungsverlauf einer anspruchsvollen Fernsehproduktion à la „Richterin Barbara Salesch“ aufmerksam folgend. Für solche Musterathleten hat man auch diese neuen Trainingsgeräte aufgestellt, die an Liegevelos erinnern. Oder an ein Tretboot mit Polstersessel. Da kann man während dem Lesen ganz bequem liegen. Ich möchte diesen Leuten jeweils gerne den guten Rat geben, dass sie ihre Trainingszeit lieber in Häkelarbeiten investieren sollten, wobei sie sich sicherlich mehr bewegen würden.

Eher unschön, aber doch sehr unterhaltsam ist es jeweils, zu beobachten was passiert, wenn sich eine attraktive Frau in den falschen Bereich des Körperertüchtigungstempels verirrt. Den Freihantelbereich. Dort wo die „Jungs“ trainieren. Nichts für Weichbrote, sozusagen. Stählt also in diesem Bereich eine knackige junge Dame ihren wohlgeformten Gluteus Maximus***, geraten manche der anwesenden Testosteronbündel in Aufregung. Manchen treten bei solch einem Anblick Schweissperlen auf die Stirn, und wer ihren Blick sieht, muss annehmen, dass sie später stundenlang eiskalt duschen müssen. Andere begeben sich – völlig unauffällig – dorthin, wo die verirrte Frau sie einfach anschauen muss, werfen sich in Pose und untermalen ihre betont harten Übungen mit Geräuschen, welche den zufällig vorbeigehenden Passanten an Brunftschreie kapitalen Grosswilds während der Paarungszeit gemahnen würden.

* Beischlaffrequenz: Siehe -> Kopulationsrate.
** Männerhandtasche: Eine Sechserpackung Bier.
*** Gluteus Maximus: Ja, richtig. Der grosse Arschmuskel.

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