Gesundheit

Einer meiner Freunde hat die Eigenschaft, sich schon in jungen Jahren für seine Gesundheit zu interessieren. Dies führte kürzlich dazu, dass ich mich nach dem Besuch der Ferienmesse ohne Böses zu ahnen unvermittelt in der gleichzeitig stattfindenden «Gesundheit 08″* wiederfand. Deren Austragungsort war nämlich die Nebenhalle bereits erwähnter Ferienmesse. Kaum betritt der unbescholtene Messebesucher diesen Hort von Prophylaxe und Rekonvaleszenz, vor dem inneren Auge noch all die wehmütig gefärbten Bilder ferner Reiseziele, muss er sich schon entsetzt abwenden von den sich in Qualen windenden Insassen unablässig pulsierenden und knetenden Massagegestühls. Die Köpfe in grotesk-genickbrecherischem Winkel nach hinten abgeknickt liegen diese apathisch und roh vom Gestühl geschüttelt auf dem wahlweise in Snobschwarz oder Zuhälterweiss erhältlichen Foltergerät. Der ängstlich beschleunigte Schritt lässt den Besucher schon wenige Meter weiter fast in eine eitergelbe Pappmaché-Landschaft von seltener Hässlichkeit prallen, in welcher hochqualifizierte Wassertretertrainer interessierten und/oder rheumatösen potentiellen Wassertreterschülern Probelektionen in heilsamem herumdümpeln anbieten. Um die Ecke wird dann gleich ein weiterer Dauerbrenner feilgeboten: Schuhe mit defekter Sohle. Dort wo sonst der Absatz ist, gähnt Leere. Der bewusste Schuhkauf führt dann eilenden Schritts zur Folgesymptomen wie Bewusstlosigkeit oder Schädelbasisbruch durch schuhwerkgefördertes Nachhintenumfallen.
Auch für Freunde gesunden Speisens wird allerhand geboten. So blieb der Grossteil unseres Grüppchens – offensichtlich aus Hunger – bei einem Stand hängen, wo ihnen eine Handvoll Grünzeug entgegengereckt wurde. Meine Bemerkung, doch jetzt langsam etwas Anständiges essen zu gehen, verhallte ungehört. Um nicht auch den halbverdorrten Schnittlauch aus unappetitlicher Hand kosten zu müssen, blieb ich einen Moment etwas abseits. Weil mir aber nach einigen Minuten relativ langweilig wurde und mich ehrlich gesagt auch die Neugier packte, was zum Kuckuck man denn eigentlich über Petersilie minutenlang erzählen kann, begab ich mich trotzdem wieder in Hörweite des besagten Standes. Dort stand eine Frau und erzählte allerhand wissenswertes über die angebotenen Sprossen, während dem Sprechen unablässig neue Kostproben aus verschiedenen Gefässen verteilend, welche ich jedesmal dankend ablehnte. Man weiss ja nie. Da muss nur jemand darauf kommen, Sprossenzucht mit Eigenurintherapie zu verbinden, und sie würden das auch nicht mehr probieren wollen, oder? Sehr verdächtig erschien mir auch der Umstand, dass die Frau zwar die gesunde Wirkung des Sprossenverzehrs lobpreiste, selber aber sehr ungesund aussah. Ungefähr wie jemand, der mangelernährt im Keller wohnen muss. Mein Blick schweifte weiter über den Rest des Standes, wo ich ihn erblickte. Den Gemahl von Frau Sprossenzombie. Vor Plakaten überquellend vor schönster Rabulistik stand er: Der Sprossenguru selber. Der Swami des Soja. Der glatzköpfige Elvis des Bockshornklees. Der Dalai Lama der Kresse. Der Kahuna der Mungobohne. Solariumgebräunt und wohlgenährt. Wahrscheinlich isst er das ganze schöne Fleisch, während seine Frau nur die Sprossen bekommt. Mit ausladenden Schwenkbewegungen des Sprossenbehälters zog die kränklich aussehende Frau meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, um einen Augenblick später vollen Ernstes mit gesenkter Stimme vertraulich zu verkünden, sie würde jeweils mit ihrem Gemüse sprechen und ihm danken, dass es so schön wächst. Es gelang mir, nicht zu lachen, aber schlagartig wurde mir klar: Diese Frau ist des Wahnsinns knusprige Beute. Und das nicht erst seit gestern, sie muss die Grenze von liebenswürdiger Beklopptheit zum Irrsinn schon vor Jahren mit wehenden Gewändern überrannt haben.
Ich weiss nicht, wie es ihnen geht, geneigter Leser. Aber ich für meinen Teil hoffe sehr, dass sich bald schon eine Gelegenheit bietet, eine waschechte Esoterikmesse zu besuchen. Die Wirklichkeit ist nämlich oft lustiger als jede Komödie.

* Einer der Leitsätze der diesjährigen Messe: «Wellness war gestern, heute ist Selfness.» Also heute fühlt man sich nicht mehr wohl, sondern egoistisch.

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